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1. Halbjahr 2022
1 Jahr GREx und RIRUG – Auswirkungen der beiden Novellen auf das Insolvenzgeschehen:
Weder die gesetzlichen Entschuldungserleichterungen noch die inflationäre Entwicklung der letzten Monate haben dazu geführt, dass die Anzahl der Privatinsolvenzen wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht hätten.
Der Insolvenzstatistik vorangestellt wollen wir Ihnen einen Überblick darüber geben, wie sich die Gesamtreform des Exekutionsrechtes (GREx) nach einem Jahr auf das Insolvenzgeschehen ausgewirkt hat.
Mit der am 01.07.2021 in Kraft getretenen GREx sollte das Zusammenwirken zwischen Exekutions- und Insolvenzverfahren effektiver gestaltet werden. Insbesondere sollten aussichtslose Exekutionen vermieden werden, indem bereits das Exekutionsgericht „offenkundige Zahlungsunfähigkeiten“ von Schuldnern aufgreift und in der Ediktsdatei veröffentlicht. Dadurch ruhen die Exekutionsverfahren, so dass die Gläubiger zur Hereinbringung ihrer Forderungen auf das Insolvenzverfahren verwiesen werden und somit Insolvenzanträge gegen Schuldner stellen sollen. Im Bereich der Privatinsolvenzen führen diese Gläubigeranträge zu einem mit 01.07.2021 neu eingeführten „Gesamtvollstreckungsverfahren“, in welchem Verwertungserlöse und das pfändbare Einkommen des Schuldners gleichmäßig auf die Gläubiger verteilt werden.
Diese beiden neu eingeführten Rechtsinstitute der „offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ und eines „Gesamtvollstreckungsverfahrens“ haben sich im ersten Jahr nach Einführung wie folgt entwickelt:
Das Zahlenwerk zeigt, dass nach „Startschwierigkeiten“ beide Rechtsinstitute in der Gerichtspraxis vermehrt Anwendung finden. Von der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers, dass durch die GREx 37 500 Exekutionsanträge gegen 5 000 Verpflichtete wegfallen und jährlich 1 000 zusätzliche Privatinsolvenzen eröffnet werden, sind wir noch weit entfernt. Tatsächlich wurden nach der Veröffentlichung der „offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ Insolvenzen in nachstehender Anzahl eröffnet.
Die Tabelle zeigt, dass nach dem Aufgreifen der „offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ durch das Exekutionsgericht lediglich 56 Verbraucher selbst ein Schuldenregulierungsverfahren beantragt haben, 43 Verfahren wurden über Gläubigeranträge als Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet.
In 10 Fällen kam es zur Eröffnung einer Firmeninsolvenz in Form eines Konkursverfahrens.
Überhaupt zeigt die nachfolgend dargestellte Entwicklung im Privatinsolvenzbereich, dass die finanziellen Herausforderungen für private Haushalte in Folge der Teuerungswelle und der inflationären Entwicklung am Privatkonkurssektor noch keinen Niederschlag gefunden haben. So liegen die 4 327 eröffneten Privatkonkurse (inklusive Gesamtvollstreckungen) im 1. Halbjahr 2022 unter dem Niveau der Jahre vor der Pandemie, nachdem im 1. Halbjahr 2019 nämlich 5 066 und im 1. Halbjahr 2018 sogar 5 475 Privatkonkurse (Schuldenregulierungsverfahren) eröffnet wurden.
Mit dem ebenfalls im Juli 2021 in Kraft getretenen Restrukturierungs- und Insolvenz- Richtlinie- Umsetzungsgesetz (RIRUG) wurde die Dauer des Abschöpfungsverfahrens im Regelfall von 5 auf 3 Jahre verkürzt. Die Auswirkungen auf die Durchschnittsquoten zeigen wir bei den Privatinsolvenzen auf. Vorausgeschickt sei jedoch, dass durch die zeitlich verkürzten und somit geringeren angebotenen Zahlungsplanquoten die Bereitschaft der Gläubiger, Zahlungspläne anzunehmen nicht abgenommen hat und der Anteil an Zahlungsplänen und Abschöpfungsverfahren annähernd gleich geblieben ist.
Im 1. Halbjahr 2022 wurden 4 262 Schuldenregulierungsverfahren in folgender Form aufgehoben:
Wie wir in der Insolvenzstatistik für das Jahr 2021 dargelegt haben, wurden in den letzten 6 Monaten vor Inkrafttreten der Novelle 66,93 % der Schuldenregulierungsverfahren mit einem angenommenen Zahlungsplan und 29,18 % nach Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens aufgehoben, so dass diesbezüglich keine Verschiebungen eingetreten sind.
Im 1. Halbjahr 2022 ist der Anteil der mit Zahlungsplan abgeschlossenen Schuldenregulierungsverfahren bei 68,47 %, während in 29,61 % der aufgehobenen Verfahren Abschöpfungsverfahren eingeleitet wurden.
GESAMTINSOLVENZEN
Im 1. Halbjahr 2022 hatten wir mit 2 464 Firmeninsolvenzen und 4 758 Privatinsolvenzen österreichweit 7 222 Gesamtinsolvenzen zu verzeichnen, das ist gegenüber den 4 541 Gesamtinsolvenzen im 1. Halbjahr 2021 ein Zuwachs von 59,04 %. Die Entwicklung in den beiden Insolvenzbereichen stellt sich im Detail wie folgt dar:
Im Bereich der „Gesamtvollstreckungen“ gibt es keinen Vergleichswert, da diese Verfahrensart erst am 01.07.2021 eingeführt wurde.
Wie bereits einleitend ausgeführt, haben die eröffneten Schuldenregulierungsverfahren (inklusive Gesamtvollstreckungsverfahren) im 1. Halbjahr 2022 (4 327) gegenüber dem 1. Halbjahr 2021 um 33,26 % zugenommen.
Trotz der Erleichterungen bei Entschuldungen liegen wir jedoch weit unter den Werten der 1. Halbjahre der Jahre 2018 (5 475) und 2019 (5 066).
Regional ist auszuführen, dass es in jedem Bundesland im Bereich der eröffneten Privatinsolvenzen Zuwächse gegeben hat, den größten Anstieg verzeichnete Tirol (+ 65,97 %), gefolgt von der Steiermark (+ 56,51 %).
Im Bereich der Beendigungsformen haben wir bereits einleitend ausgeführt, dass circa 2/3 der Verfahren über einen Zahlungsplan und circa 1/3 der Verfahren über ein eingeleitetes Abschöpfungsverfahren enden. Hinsichtlich der Durchschnittsquoten von Zahlungsplänen ergibt sich folgendes Bild:
Die hohen Durchschnittsquoten bei Zahlungsplänen sind durchaus überraschend.
Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass bei Verfahrenseröffnung durchschnittlich eine Quote von 12,23 % angeboten wird. Bereits in unserer letzten Statistik haben wir ausgeführt, dass nur mehr ein Drittel der Gläubiger in Privatinsolvenzen Forderungen anmeldet, so dass auf Grund der geringeren angemeldeten Verbindlichkeiten eine Erhöhung der Zahlungsplanquote erfolgt, schließlich auf den Mittelwert von 26,24 %.
Diese Durchschnittquote von Zahlungsplänen ist jedoch keine Durchschnittsquote von Schuldenregulierungsverfahren. Ein Drittel der Verfahren endet nämlich in einem Abschöpfungsverfahren, nachdem die Gläubiger zuvor das Zahlungsplanangebot abgelehnt haben, wobei es sich regelmäßig um Angebote unter 5 % handelt.
Die Gesamtverbindlichkeiten der eröffneten Privatkonkurse sind von EUR 332,8 Mio. (1. Halbjahr 2021) auf EUR 520,8 Mio. gestiegen.
Auch die Durchschnittsverschuldung ist von EUR 102.500,- (1. Halbjahr 2021) auf EUR 120.300, — gestiegen.
Im ersten Halbjahr 2022 wurden wöchentlich 166 Privatkonkurse eröffnet.
Die eröffneten Firmeninsolvenzen haben sich im 1. Halbjahr 2022 gegenüber dem 1. Halbjahr 2021 auf 1 384 Verfahren fast verdoppelt (+ 97,71 %). Diese Erhöhung ist darauf zurückzuführen, dass die staatlichen COVID-19 Unterstützungsmaßnahmen weitgehend ausgelaufen sind.
Besorgniserregend sind dabei 1 080 Abweisungsbeschlüsse, die sich gegenüber dem 1. Halbjahr 2021 fast verdreifacht haben. Diese Entwicklung zeigt andererseits, dass bei zahlreichen, durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen am Leben erhaltenen Unternehmen nicht einmal freies Vermögen von EUR 4.000,–vorhanden ist, um die Kosten für ein formelles Insolvenzverfahren aufbringen zu können.
Dennoch darf bei dieser Gegenüberstellung nicht außer Acht gelassen werden, dass man zwei Halbjahre miteinander vergleicht, die durch die Pandemie geprägt waren. Während vor Ausbruch der Corona-Pandemie im 1. Halbjahr 2018 noch über das Vermögen von 1 524 Unternehmen und im 1. Halbjahr 2019 über 1 545 Unternehmen Insolvenzverfahren eröffnet wurden, liegen die Eröffnungszahlen im 1. Halbjahr 2022 immer noch um ein Zehntel (Vergleich 2018: – 9,19 % bzw. 2019: – 10,42 %) zurück.
Der in der Pandemie entstandene Rückstau an 2 000 Firmeninsolvenzen wird derzeit daher noch nicht abgebaut.
Zu den Bundesländern ist auszuführen, dass mit Ausnahme der Steiermark (+ 58,25 %) sich in jedem anderen Bundesland die eröffneten Firmeninsolvenzen zumindest verdoppelt haben, den größten Zuwachs gab es in Vorarlberg (+ 190 %), gefolgt von Kärnten (+ 129,17 %) und dem Burgenland (+ 116 %). Die meisten eröffneten Firmeninsolvenzen, nämlich 498 wurden in Wien eröffnet. Dies bedeutet eine Zunahme um 99,20 % gegenüber den 250 in Wien eröffneten Firmeninsolvenzen im 1. Halbjahr 2021.
Betrachtet man die monatlichen Eröffnungen der letzten 4 Jahre, so zeigt nachstehende Grafik, dass im heurigen Jahr die Eröffnungen sukzessive von Monat zu Monat gestiegen sind. Die Eröffnungen im Mai und Juni 2022 liegen bereits über den Werten des Jahres 2019.
Gläubigeranträge
Insolvenzverfahren können über Eigenantrag des Schuldners oder über Antrag eines Gläubigers eröffnet werden. In Zeiten vor der Pandemie waren die Eröffnungen der Firmeninsolvenzen annähernd gleichmäßig auf Eigen- und Gläubigeranträge verteilt. Obgleich die öffentlichen Stellen während der Pandemie überhaupt keine Insolvenzanträge gestellt haben und auch derzeit noch auf Grund der laufenden Stundungsanträge zurückhaltend agieren, haben sich die Insolvenzeröffnungen dennoch massiv in Richtung Gläubigeranträge entwickelt, wie nachstehende Zahlen zeigen:
Von den 1 384 Eröffnungen an Firmeninsolvenzen sind 921 Eröffnungen (66,55 %) auf Initiative der Gläubiger zurückzuführen, so dass 2/3 der Firmeninsolvenzen über Gläubigeranträge eröffnet werden. In Folge der Pandemie hat auch die Bereitschaft der Unternehmen, ihre Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig einzugestehen, abgenommen. Dies führt nicht nur zu zunehmenden Verletzungen von Insolvenzantragsverpflichtungen, sondern auch zu einer Schmälerung der Insolvenzmassen, wie der drastische Anstieg der Insolvenzabweisungen mangels Masse belegt.
Nachdem sich die eröffneten Firmeninsolvenzen fast verdoppelt haben, haben auch die Gesamtverbindlichkeiten proportional, nämlich um 107,1 % zugenommen. Auf die Höhe der Verbindlichkeiten haben sich die am 27.06.2022 eröffneten Insolvenzen der Immobiliengruppe CPI ausgewirkt. So handelt es sich bei der CPI Beteiligungen GmbH mit angegebenen Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 86 Mio. um die größte Insolvenz des vergangenen Halbjahres, gefolgt von der Polytechnik Luft- und Feuerungstechnik GmbH mit zum Zeitpunkt der Sanierungsplantagsatzung anerkannten Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 56 Mio. und der CPI Bauträger und Immobilienverwaltung GmbH mit angegebenen EUR 43,3 Mio. An vierter Stelle rangiert die Scalahaus Holzbau GmbH mit Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 21,2 Mio.
Die Anzahl der gefährdeten Arbeitsplätze ist um circa 40% gestiegen, nachdem 4 349 Dienstnehmer unmittelbar von eröffneten Insolvenzen betroffen waren.
Die meisten Dienstnehmer waren bei der ORDIA Handels GmbH beschäftigt, welche Textilmode unter der Bezeichnung „Orsay“ verkauft hat. Sämtliche Geschäfte in Österreich wurden geschlossen, so dass 239 Arbeitsplätze verloren gingen. An zweiter Stelle steht die BURGERISTA Operations GmbH mit 130 Dienstnehmern. Dieses Unternehmen ist um eine Sanierung bemüht. Die an dritter. Stelle liegende Handelskette NORTHLAND OUTDOOR SHOP GmbH beschäftigte ursprünglich 113 Dienstnehmer und im Zuge der Sanierung erfolgte eine Personalreduktion auf circa 80 Dienstnehmer.
Branchenmäßig entfallen von den eröffneten Firmeninsolvenzen die meisten Insolvenzen auf Bauunternehmen (342), gefolgt vom Handel (329) und der Gastronomie (223).
Österreich liegt bei den Entschuldungen von Unternehmen im europäischen Spitzenfeld, dies auf Grund der Einrichtung der bevorrechteten Gläubigerschutzverbände, die circa 98 % der Gläubiger in den Abstimmungstagsatzungen vertreten. So konnten im 1. Halbjahr 2022 circa 300 Sanierungspläne abgeschlossen werden, wobei sich folgende Durchschnittsquoten errechnen:
Die Durchschnittsquote bei abgeschlossenen Sanierungsplänen beträgt in Österreich im 1. Halbjahr 2022 somit 40,38 %. (Median: 25 %). Bei 50 von 314 Sanierungsplänen konnte sogar eine Rückzahlungsquote von 100% vereinbart werden.
Bei Veröffentlichung wird um Quellenangabe gebeten.
// Rückfragenhinweis
Mag. Franz Blantz Dr. Cornelia Wesenauer
Bereichsleiter Insolvenz Pressesprecherin
Tel: 05 04 100 – 8000 Tel: 05 04 100 – 1193